Ich bin von einem Fall betroffen oder habe das bei einer anderen Person miterlebt – was kann ich tun?

Sie sind selbst betroffen

Unser aktuelles Wissenschaftssystem ist charakterisiert durch vielfältige interpersonale Abhängigkeitsverhältnisse. Darüber hinaus sind wissenschaftliche Felder oftmals klein, man kennt sich, und es ist schwierig, objektive und unbeteiligte Personen zu finden. Auch wenn das nicht die bevorzugte Lösung sein kann, kann es in manchen Situationen sinnvoll sein, mit einer Konfrontation zu warten, bis man sich selbst in einer sichereren Position befindet (z.B. nach Abschluss einer Promotion), wenn absehbar ist, dass dies bald eintritt. Das System als ganzes und insbesondere auch nachfolgende Wissenschaftler:innen profitieren davon, wenn Fehlverhalten angesprochen und Veränderung eingefordert wird. Dennoch steht bei diesem Prozess immer die eigene Sicherheit im Vordergrund.

Sind Sie selbst von Machtmissbrauch betroffen, gibt es einige erste Schritte, die Sie unternehmen können. Im Folgenden haben wir einige Möglichkeiten für Sie aufgeführt.

Sicherheit zurückerlangen

Situationen, in denen Machtmissbrauch passiert, sind sehr schwer auszuhalten und bringen oft eine starke psychische Belastung mit sich. Generell und insbesondere falls Sie etwas an Ihrer Situation ändern wollen, ist es wichtig, dass Sie dies aus einer Position heraus tun, in der Sie sich selbst so sicher und stabil wie möglich fühlen. Gespräche mit nahestehenden Personen können z. B. helfen, sich mit der Situation nicht mehr alleine zu fühlen. Zusätzlich dazu bieten viele Institutionen niederschwellige psychologische oder psychosoziale Beratungsservices an, die dabei helfen können, wieder etwas Sicherheit zu erlangen, das Erfahrene aufzuarbeiten und nächste Schritte zu planen.

Anlaufstellen aufsuchen

Institutionen in der Wissenschaft bieten in der Regel eine Reihe von Anlaufstellen, an die man sich wenden kann, um Beratung und Hilfe zu erhalten. Je nachdem, wie Ihr Fall gelagert ist, ist z.B. der oder die Gleichstellungsbeauftrage, die Ombudsperson oder die Mitarbeiter:innenvertretung (Personalrat, Betriebsrat) ein erster Anlaufpunkt. Wichtig ist hier, darauf zu achten, dass die Vertraulichkeit des Gespräches garantiert wird. Oft wird auch der oder die direkte Vorgesetzte als erste Ansprechpartner:in genannt. Je nach dem persönlichen Verhältnis kann das eine sehr gute Wahl sein. Vorgesetze sind im Gegensatz zu den anderen genannten Anlaufstellen allerdings nicht gesetzlich zu Vertraulichkeit verpflichtet.

Unabhängige(re) Anlaufstellen finden

Es gibt oftmals gute Gründe, den institutionseigenen lokalen Anlaufstellen nicht zu vertrauen. Zum Beispiel, weil die Personen dort selbst in den Fall involviert sind, oder aber involvierten Personen nahestehen. Hier kann es helfen, sich an Anlaufstellen zu wenden, die weiter oben in der institutionellen Hierarchie angesiedelt sind. Oftmals gibt es zentrale Gleichstellungsbeauftragte oder Ombudspersonen, die unabhängig von der spezifischen Institution agieren und helfen können.

Netzwerk gegen Machtmissbrauch

Unabhängig von Institutionen können Sie sich an das Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft wenden. Wir garantieren Vertraulichkeit, hören zu und können dabei helfen, nächste Schritte zu planen. Das Netzwerk setzt sich aus Personen zusammen, die einen großen Schatz an Erfahrungen im Umgang mit Machtmissbrauch in der Wissenschaft an verschiedenen Orten und Positionen in der wissenschaftlichen Hierarchie einbringen. Dieses Wissen nutzen wir gerne, um Sie in Ihrer Situation vertraulich und ehrenamtlich zu unterstützen. Über unser Beratungsangebot können Sie sich hier ausführlicher informieren.

Dokumentation

Es kann oft sehr hilfreich sein, spezifische Vorkommnisse detailliert zu dokumentieren. Notieren Sie, wann Ihnen was passiert ist, was gesagt wurde und welche Personen involviert waren und die Vorkommnisse eventuell bestätigen können. Speichern Sie auch relevante elektronische Kommunikation (E-Mails, Textnachrichten) zu diesem Zweck ab. Das kann zum einen dazu dienen, sich selbst ein klareres Bild von der Situation zu verschaffen. Zum anderen sind solche Gedankenprotokolle oft wichtige Mittel, um Vorwürfe zu konkretisieren und Zeugen für diese zu finden, sollte es zu einer Konfrontation kommen.

Vernetzung

Sollten auch andere Personen von der Situation betroffen sein, kann es sinnvoll sein, sich mit diesen zu vernetzen. Das kann zum einen dabei helfen, das Erfahrene aufzuarbeiten und Strategien auszutauschen, um damit umzugehen. Zum anderen zeigt die Erfahrung, dass Vorwürfe, die von mehreren Personen geäußert werden, mehr Gewicht haben.

Sie erleben Machtmissbrauch an einer anderen Person mit

Befinden Sie sich selbst in einer vulnerablen Position, können Sie das Opfer von Machtmissbrauch trotzdem unterstützen, sollten aber darauf achten, sich selbst dabei nicht zu gefährden. In der akuten Situation kann es sinnvoll sein, den oder die Täter:in abzulenken oder das Opfer mit einem Vorwand aus der Situation herauszuholen, um die akute Situation zu entschärfen. Darüber hinaus können Sie der betroffenen Person Ihre Hilfe anbieten und ihr zuhören. Betroffene fühlen sich oftmals alleine mit Ihren Schwierigkeiten und ein vertrauliches Gespräch mit einer wohlgesinnten Person kann viel dazu beitragen, der betroffenen Person wieder etwas Sicherheit zu geben. 

Befinden Sie sich selbst in einer einflussreichen Position, können Sie diese nutzen, um auf die Situation aufmerksam zu machen, den oder die Täter:in zur Rede zu stellen oder an geeigneter Stelle darauf hinzuweisen und Veränderung einzufordern. Ohne Unterstützung von Personen wie Ihnen ist es für Betroffene oftmals schwer, sich in ihrer eigenen Institution Gehör zu verschaffen. Insbesondere Betroffene in abhängigen Positionen können Veränderungen selbst kaum einfordern.