Machtmissbrauch ist ein gesellschaftliches Phänomen, von dem die Wissenschaft nicht ausgenommen ist. Mit dem 2019 in Deutschland in Kraft getretenen DFG-Kodex gilt Machtmissbrauch auch als wissenschaftliches Fehlverhalten. Zwar wird gern ein idealisiertes Bild gezeichnet, in dem es in der Wissenschaft rein sachlich zugehe und allein die Leistung zähle. Machtmissbrauch ist nach unserer Erfahrung jedoch auch in der Wissenschaft in verschiedenen Formen weit verbreitet.
Machtmissbrauch wird v.a. dann möglich, wenn die Interaktion der handelnden Personen durch starke Abhängigkeitsverhältnisse gekennzeichnet ist. Dies ist im Wissenschaftsbetrieb, der traditionell durch erhebliche Machtungleichgewichte zwischen Vorgesetzten und anderen Beschäftigten gekennzeichnet ist, in besonderem Maße der Fall. Die gängige Praxis, Beschäftigungsverhältnisse eng zu befristen, spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, weil dadurch die Möglichkeit, die eigenen wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen, dauerhaft und essentiell vom Wohlwollen der jeweiligen Arbeitsgruppenleitung abhängt. Nicht selten wird diese Situation ausgenutzt, um z.B. vertragsfremde Leistungen oder fragwürdige wissenschaftliche Vorgehensweisen einzufordern. Andere Faktoren, die Machtmissbrauch im akademischen Umfeld ermöglichen oder begünstigen, sind zum Einen Rollenvermischungen (z.B. das regelmäßige Zusammenfallen der Rolle als Personalverantwortlicher, wissenschaftlicher Kooperationspartner und/oder Gutachter) in einem auf Selbstkontrolle basierenden System, zum Anderen ein ausgeprägter Mangel an effektiven, unabhängigen Kontroll- und Sanktionsmechanismen.
Hier dokumentieren wir einige Fallbeispiele.
Machtmissbrauch wird zunehmend von Institutionen in der Wissenschaft thematisiert, z.B. der Hochschulrektorenkonferenz, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Leibniz Gemeinschaft. Das Ombudswesen, ein vor mehr als 20 Jahren eingeführtes System von Vertrauenspersonen, ist eine in aller Regel verlässliche, institutionell lokal verankerte Struktur zum Umgang mit Verdachtsfällen von wissenschaftlichem Fehlverhalten, der mit dem Ombudsman der Wissenschaft ein nationales Gremium zur Seite gestellt ist. Das Ombudswesen als Selbstkontrollmechanismus scheint bei den teilweise sehr komplex gelagerten und zwischenmenschlich schwierigen Fällen an seine Grenzen zu kommen.
Darüber hinaus besteht insbesondere beim Thema Machtmissbrauch auf Seiten von betroffenen Personen nicht selten eine Scheu, sich an solche Stellen zu wenden. Die Gründe dafür sind vielfältig, etwa (a) mangelndes Wissen über Formen von Machtmissbrauch, eigene Rechte und Vefahrensabläufe, (b) Unsicherheit bzgl. der eigenen Bewertung von möglicherweise problematischem Verhalten (ist dieses z.B. nicht einfach gängig, „normal“ und muss toleriert werden?), (c) Zweifel an der Neutralität und der Ernsthaftigkeit des Aufklärungswillens solcher Institutionen, (d) Sorge, dass die weitergegebenen Informationen nicht mit der nötigen Vertraulichkeit behandelt werden, und in der Folge (e) Angst vor möglicher Vergeltung durch angeschuldigte Personen.
In solchen Situationen möchte unser Netzwerk gern unterstützend zur Seite stehen.
Unser Netzwerk will jenen, die sich von Machtmissbrauch betroffen sehen oder die mit Fällen von Machtmissbrauch befasst sind und die eine unabhängige Ansprechstelle suchen, Anlauf- und Fürsprechstelle sein.