Der Machtmissbrauch nach dem Machtmissbrauch

Mein Zweitbetreuer, der zuvor schon meine Bachelor- und meine Masterarbeit erstbetreut hatte und mich viele Jahre kannte, teilte mir in seinem Büro mit, dass er sich in mich verliebt habe. Es war ein Freitagnachmittag im Dezember. Im Universitätsgebäude herrschte Dunkelheit und alles wirkte ausgestorben. Als ich ihn zurückwies und meinem Entsetzen darüber Ausdruck verlieh, dass er mich in eine machtmissbräuchliche Situation bringen würde, stammelte er darüber, dass wir ja ebenbürtig seien und er in der Vergangenheit auch einmal eine Affäre neben seiner Ehe und eine mit einer Doktorandin gehabt hätte und damals auch keine Probleme dadurch verursacht wurden. Ich verließ den Raum so schnell wie möglich und schloss mich in meinem Büro ein. Im Januar des folgenden Jahres suchte ich eine Professorin auf, um sie zu bitten, meine Zweitbetreuung zu übernehmen. Ich schilderte ihr den Grund für meine Anfrage und machte auch deutlich, dass ich zu diesem Zeitpunkt kein Interesse an einer offiziellen Beschwerde gegen ihn habe. Ich wollte nur meine Zweitbetreuung in sicheren Händen wissen. Die Professorin nahm sich vier Monate Bedenkzeit und wies mich anschließend mit dem Hinweis zurück, dass sie sich solchen Konflikten am Institut nicht aussetzen könne. Da habe ich verstanden, dass der Machtmissbrauch durch die Institution erst nach dem eigentlichen Übergriff kommt.

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