Rassistische Diskriminierung im Studium

Wenn man als Erstsemester naiv und voller Vorfreude mit dem Studium startet, ahnt man noch nicht, was allzu bald auf einen zukommen wird. Machtmissbrauch an Hochschulen? Ja, davon hat man doch schon mal was gehört, aber mir wird das bestimmt nicht passieren, denkt man noch ganz naiv. So bin ich in mein Studium gestartet. Im ersten Semester hieß es dann, Stundenplan zusammenstellen und sich für Seminare anmelden. Ich habe mich zunächst für alle Pflichtseminare angemeldet, die Zugangsvoraussetzung zu nachfolgenden Wahlseminaren sind. Soweit so gut. Doch erschrocken musste ich feststellen, dass ich in keinem der Pflichtseminare einen Platz bekommen konnte. Also ab zur Studienfachberatung und nachfragen, was ich jetzt tun soll. Die Studienfachberatung teilte mir mit, dass man da nichts machen könne. Ich sollte mich nächstes Jahr wieder für die Pflichtseminare anmelden. Aber es sei ein bekanntes Problem, dass es mehr Studierende als Plätze in den Seminaren gäbe. Ob ich dann schon Wahlseminare in der Zwischenzeit belegen könnte? Nein, das wäre nicht möglich, schließlich wären die Pflichtseminare ja Voraussetzung für die Wahlseminare. Ich habe daher in den ersten beiden Semestern nur jeweils 20 CP erbringen können, weil mir zu den vorgesehenen Wahlseminaren die Zugangsvoraussetzung fehlte und es auch keine anderen Veranstaltungen gab, die ich hätte vorziehen können. Eine Kommilitonin, die einen Platz im Pflichtseminar ergattern konnte, erzählte mir immer wieder in anderen Veranstaltungen, wie toll das Seminar wäre und dass Prof. X ihr am Lehrstuhl eine HiWi-Stelle angeboten hat, auf der sie jetzt arbeite. Im nächsten Jahr habe ich mich wieder auf die Plätze im Pflichtseminar beworben und – Überraschung – ich habe wieder keinen Platz erhalten. Also wieder zur Studienfachberatung. Diese erzählte mir wieder, dass man diesbezüglich nichts tun könne. Verärgert sprach ich mit besagter Kommilitonin über das Problem und erzählte ihr, wie der fehlende Seminarplatz meinen Studienverlauf behinderte. Daraufhin wurde sie ganz still und teilte mir anschließend mit, dass sie eigentlich nicht über das Thema sprechen sollte, aber Prof. X würde sich die Seminarteilnehmer immer gerne persönlich aus der Liste an Anmeldungen aussuchen. Intern wäre bekannt, dass Prof. X ein Problem mit Ausländer*innen hätte und daher nachrangig Menschen mit ausländischen Nachnamen auswählen würde. Als sie mir das erzählte, war ich zutiefst schockiert. Ich habe einen ausländischen Nachnamen, weil mein Opa aus Osteuropa kam, der Rest meiner Familie ist deutsch. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Und überhaupt ist dies zutiefst rassistisch. Ist es überhaupt erlaubt, dass Professoren sich Studierende aussuchen? Dürfen Professoren als Gatekeeper entscheiden, wer Zugang zu Lehrveranstaltungen bekommt oder nicht? Meine Kommilitonin riet mir, in die Sprechstunde zu gehen und das Gespräch zu suchen. "Wenn du dich mit Prof X. unterhältst und klar wird, dass du Deutsche bist, kannst du vielleicht noch einen Platz bekommen." Eigentlich wollte ich nicht mit Prof. X reden, aber da der fehlende Seminarplatz mein Studium mehr und mehr gefährdete, bin ich dann doch in die Sprechstunde und habe Prof X höflich auf mein Problem mit dem fehlenden Seminarplatz hingewiesen. Und tatsächlich: Eine Woche nach dem Gespräch erhielt ich eine Mail von Prof. X, dass man mir doch noch einen Platz geben würde. Ich habe dann das Seminar absolviert und mein Studium fortgesetzt. Doch auch im Seminar bei Prof. X wurde sehr schnell klar, dass Prof. X eine unglaublich fremdenfeindliche Einstellung hatte. Ständig hetzte Prof X. gegen Ausländer*innen, Menschen jüdischen Glaubens, Menschen der LGBTQ+-Community und alles und jeden, der vermeintlich nicht deutsch und christlich war. Ich war unglaublich froh, als ich am Ende des Semesters die Prüfungsleistung erbracht hatte. Ich ging daraufhin zur Fachschaft und berichtete von den schockierenden Erfahrungen mit Prof. X. Die Fachschaft erzählte mir, dass das Problem bereits sehr bekannt sei und man schon viel versucht hätte, um Prof. X aus dem Lehrbetrieb zu entfernen, aber das Beamtenverhältnis eine nahezu grenzenlose Freiheit einräumen würde und der Fachschaft die Hände gebunden wären. Am Ende des vierten Semesters musste ich einen Leistungsnachweis für das BAföG-Amt vorlegen. Durch den fehlenden Zugang zu Kursen fehlten mir 20 CP, daher sprach ich erneut mit der Studienberatung und dem Prüfungsamt und bat um einen Nachweis, dass man mir im ersten und zweiten Semester keinen Platz in den Pflichtseminaren geben konnte, trotz fristgerechter Anmeldung. Dies verweigerte man mir mit der Begründung, dass es halt persönliches Pech gewesen wäre und im Leben nicht immer alles wie gewünscht verlaufen würde. Ich war zu dem Zeitpunkt extrem verzweifelt, weil ich für die Finanzierung meines Studiums auf BAföG angewiesen war und bereits einen Nebenjob neben dem Studium ausübte. Eine Finanzierung ohne BAföG wäre undenkbar gewesen. Als ich weinend mit der BAföG-Sachbearbeiterin telefonierte und ihr die Situation schilderte, erzählte sie mir, dass sie das Problem mit den fehlenden Seminarplätzen bereits aus vielen Studiengängen kenne. Sie bat mich, ihr den Auszug aus der Prüfungsordnung, die den Zugang zu Wahlpflichtseminaren regelt, zu schicken und eine Kopie der E-Mail, dass man mir im ersten Semester keinen Pflichtseminarplatz zugeteilt hatte. Sie würde das Ganze dann mit ihrem Vorgesetzten besprechen, ob man dies als Nachweis akzeptieren könnte. Eine Woche, nachdem ich die eingeforderten Unterlagen eingereicht hatte, habe ich den Bewilligungsbescheid vom BAföG bekommen. Inzwischen habe ich meinen Bachelor abgeschlossen und arbeite im öffentlichen Dienst. Einen Master mache ich zurzeit berufsbegleitend an einer privaten Hochschule. Nach diesen Erfahrungen war für mich klar, dass ein weiteres Studium an einer staatlichen Universität nicht mehr infrage kommt.

 

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