Eine andere – implizitere – Art des Machtmissbrauchs in der Wissenschaft

Promovieren kann meiner Meinung nach mit einem Sprung ins kalte Wasser verglichen werden. Durch das Studium hat man schwimmen gelernt und hat die eine oder andere Schwimmart mehr trainiert. Dennoch ist man nicht auf alles vorbereitet, was auf der offenen See „Wissenschaft“ geschehen kann. Für diese Herausforderungen sollte eigentlich die Promotionsbetreuung einem zur Seite stehen. Ich habe mein Promotionsvorhaben sehr privilegiert angefangen – nämlich im Rahmen eines Teilprojektes (TP) innerhalb eines Sonderforschungsbereiches (SFB). Die Teilprojektleitung bestand aus dem:der Lehrstuhlinhaber:in und eine:r angestellten Post-Doc. In dem TP gab es auch einen:eine weitere:n Projektmitarbeiter:in. Hauptverantwortlich für das TP war der:die Post-Doc als eine Art Nachwuchsgruppenleiter:in, welche:r auch unsere:r Erstbetreuer:in der Promotion wurde. Zwischen der:dem hauptverantwortlichen Teilprojektleiter:in und der:dem anderen Projektmitarbeiter:in entwickelte sich schnell ein persönliches Verhältnis. Er gab ihm:ihr auch Schwimmflügel für die Überfahrt auf der offenen See „Wissenschaft“. So unterstützte er sie:ihn bei der Erstellung der Ideenskizze für das Promotionsvorhaben, führte erste Literaturrecherchen mit ihr:ihm durch und unterstützte ihn:sie maßgeblich bei der Erstellung des Exposées für das Promotionsvorhaben. Feedback auf die Konzeptualisierung meines Promotionsvorhabens fiel hingegen sehr spärlich aus – von Unterstützung beim Schreiben des Exposés ganz zu schweigen. Ich sprach meine Beobachtung der Ungleichbehandlung in der Hoffnung auf Änderung an – vergeblich und lernte dabei auch, dass Kommunikation vertrauenszerstörend sein kann. Kriterien für die empirische Datenerhebung wurden erst nur an der Fallstudie der:des anderen Projektmitarbeiter:in entwickelt und erst nach meinem eindringlichen Appell auch an meiner Fallstudie getestet Als ich dann in der Phase der Datenerhebung auf Probleme stieß und nach Unterstützung fragte, wurden meine Forschungsprobleme als nicht wichtig abgetan („Musst du halt schauen, was es dir bringt.“) Unterstützung und ein Gespräch über meinen Forschungsansatz erhielt ich nicht. Ich ließ mich nicht entmutigen, obwohl ich zunehmend verunsichert wurde, und machte einen Pitch für einen gemeinsamen Fachzeitschriftenartikel des Teilprojektteams. Nach ersten rudimentären Konzeptionalisierungen teilte mir der:die Teilprojektverantwortliche:r mit, dass wir keine Zeit für die weitere Bearbeitung meiner Idee hätten. Ich erfuhr erst im Nachhinein, dass er:sie zeitgleich mit der:dem anderen Projektmitarbeiter:in anfing einen Artikel zu konzeptualisieren und zu schreiben, den der:die andere:r Projektmitarbeiter:in als Alleinautor:in dann sogar auf einem von der Teilprojektleitung organisierten Panel einer bedeutenden internationalen wissenschaftlichen Konferenz vorstellen durfte und welcher in einem von der Teilprojektleitung konzeptualisierten Sammelband veröffentlicht wurde. Ich wurde noch nicht mal über das Konferenz-Panel und über den Sammelband und die Möglichkeit der Teilnahme informiert, obwohl meine Paper-Idee sehr gut zu der Thematik des Sammelbandes und des Panels passte. Ein weiteres Beispiel ist, dass ich zufällig mitbekam, dass der:die Teilprojektverantwortliche:r allein an einem Artikel schrieb, welcher zu einem meiner Studienschwerpunkte passte. Ich bekundigte mein Interesse an dem Artikel und wurde ignoriert. Am Ende stellte er:sie den Artikel zusammen mit der:dem anderen Projektmitarbeiter:in (keinerlei Vorkenntnisse auf dem Gebiet) auf dem TP-eigenen Workshop vor – während mir nur per Mail in einem P.S. mitgeteilt wurde, dass wenn ich etwas auf dem Workshop vorstellen möchte, ich ihm:ihr bitte den Titel mitteilen sollte. Von Unterstützung bzw. Hilfestellung keine Spur. Als ich daraufhin mein Verhalten änderte und mehr (sehr laut) forderte, wurde mit absolutem Unverständnis reagiert. Als ich zwecks Netzwerkbildung mich an einem anderen Institut assoziieren lassen wollte bzw. an anderen Universitäten meine Forschung vorstellen wollte, wurde mir dies als Drohung ausgelegt und mir ausdrücklich davon abgeraten. Die bevorzugte Behandlung der:des anderen Projektmitarbeiter:in fiel auch anderen Mitgliedern des SFBs auf. Als ich der:die Teilprojektverantwortliche:r erneut auf die ungleiche Förderung ansprach, wiegelte er nur ab. So entwickelte sich eine Abwärtsspirale. Nach zwei Jahren der Vertragslaufzeit erkannte ich, dass ich nicht die Unterstützung seitens der Teilprojektleitung bekommen würde, welche ich benötigte und dass die Teilprojektleitung indifferent gegenüber meiner Forschung ist, während die Forschung der:des anderen Projektmitarbeiter:in weiter aktiv förderten und ihr:ihm Schwimmweste und Rettungsring für die weitere Überfahrt mitgaben– bspw. durch Kontakte aus ihrem:seinem wissenschaftlichen Netzwerk, substantielle Hilfe bei der Vorbereitung von Feldforschungsaufenthalten, der Organisation eines Gastwissenschaftler:innenaufenthaltes, Informationen über interessante Konferenzen und damit einhergehend die bevorzugte Gewährung von Reisemitteln und Vorab-Terminabstimmungen für Teilprojekttreffen Anstatt zu kündigen, versuchte ich mir allein ein Netzwerk aufzubauen, indem ich aufhörte den:die Teilprojektverantwortliche:r über meine Pläne zu informieren . Dies gelang nur teilweise und führte zu Anschuldigungen seitens des:der Teilprojektverantwortliche:r. Auf der einen Seite holte ich mir meine Hands-On Mentalität und das Gefühl der Selbstwirksamkeit zurück, da ich extern sehr positive Rückmeldung auf meine Forschung bekam. Auf der anderen Seite werde ich das tiefsitzende Gefühl des Desinteresses und der fehlenden Wertschätzung meiner Forschung nicht mehr los. Dies fiel auch Externen auf. So wurde ich darauf hingewiesen, dass ich mich ständig für meine Forschung entschuldigen würde. Dennoch arbeite ich weiter an meinem Traum „Wissenschaft“. Mir wurde schnell klar, dass ich durch die suboptimale Teamdynamik Zeit und Kraft verloren hatte und ich nicht im Rahmen der Vertragslaufzeit fertig werden würde. Dies kommunizierte ich auch klar gegenüber der Teilprojektleitung. Zum Ende der Vertragslaufzeit organisierte die Teilprojektleitung der anderen Projektmitarbeiterin ein Beiboot zum Erreichen des Ufers „Wissenschaftskarriere“ - eine Abschlussfinanzierung der Promotion in Form einer Haushaltsstelle als „Lehrkraft für besondere Aufgaben“, während mit mir kein Gespräch über Abschlussfinanzierungen geführt wurde und ich an meinem Projekt nur aufgrund eines absoluten Zufalls weiterarbeiten kann: der Antrag auf Weiterförderung des SFBs wurde abgelehnt und durch ein Missverständnis zwischen DFG-Sachbearbeitung und SFB-Geschäftsführung habe ich dadurch eine sechsmonatige Auslauffinanzierung bekommen. Das Perfide an meiner Erfahrung ist auch, dass universitäre Stellen mir erklärt haben, dass es sich bei meinem Fall um ein „hartes individuelles Schicksal“ handeln würde und man mir nicht helfen könnte. Selbst als die SFB-Leitung von meiner Situation erfuhr, versuchte sie mich von der DFG-Begehung für die Weiterförderung des SFB auszuladen (anstatt mich zu unterstützen, was dem „Selbstbild“ des SFBs entsprochen hätte). Ebenfalls machten alle institutionellen Ratschläge vor allem mir überproportional Mehrarbeit – wurden mir aber als „was gutes/Privileg“ mit dem Verweis, dass es mich „stärker“ machen würden und mir für meine Zukunft helfen würde, verkauft. Sich aus dem Nichts ein Netzwerk aufzubauen ist schwieriger als in ein bestehendes Netzwerk eingeführt zu werden. Als Promovendin einen Fachzeitschriftenartikel eigenständig zu konzeptualisieren ist schwieriger als wenn ein:e erfahrene:r Wissenschaftler:in maßgeblich dabei unterstützt und die Publikation mitfinanziert. Ohne Frage habe ich viel dabei gelernt und weiß dadurch, was ich selbst hinbekomme – und gleichzeitig hat es mich in allererster Linie immense Kraft gekostet, die nicht in mein Promotionsvorhaben geflossen ist. Paradoxerweise wäre ich nun „perfekt“ gerüstet für eine wissenschaftliche Karriere, weil ich auf die harte Tour die Bedeutung des Spruches „Wer sich auf andere verlässt, wird verlassen“ gelernt habe. Irgendwo fehlt mir da aber das Menschsein. Den Machtmissbrauch, den ich also erlebt habe, ist die Ausübung von Macht von Wissenschaftler:innen über zukünftige Wissenschaftskarrieren durch die aktive Förderung von wissenschaftlichem Nachwuchs. Systematische Entmutigung, ungleiche Einführung in die Wissenschaft seitens einer Teilprojektleitung und Geringschätzung der Forschung sind implizite Instrumente des Machtmissbrauchs. Denn so fährt der:die andere Projektmitarbeiter:in ausgestattet von der Teilprojektleitung mit Schwimmflügeln, Schwimmweste, Rettungsring im Beiboot weiter über die stürmische See Richtung Ufer Wissenschaftskarriere, während mir einerseits langsam, aber sicher die Kraft ausgeht andere Boote auf der See nach Unterstützung zu fragen und ich mich anderseits frage, ob ich überhaupt zu dem Felsen „Dissertation“ schwimmen soll oder einfach wieder an das bekannte Ufer zurückkehren soll. Kräfteraubend und belastend sind insbesondere erstens die Frage, warum mir keine echte Chance gegeben wurde, zweitens die Erkenntnis, dass mich die Verfolgung des Traums „Wissenschaft“ sowohl beruflich als auch privat mehr gekostet hat als ich bereit war zu zahlen und drittens die Frage, was Henne und was Ei war – die Ungleichbehandlung oder mein Verhalten, nachdem mir substanzielle Unterstützung in der Anfangsphase der Promotion vorenthalten wurde.

 

Dokumentieren Sie Ihre Erfahrungen mit Machtmissbrauch in der Wissenschaft

Mit dem Zusenden Ihres Berichts erklären Sie sich einverstanden mit dem Veröffentlichen Ihres Beitrags auf unserer Website. Ihr Beitrag bleibt anonym und es gilt unsere Datenschutzerklärung.

Einen Fall dokumentieren