Ich habe jahrelang als SHK für einen Professor gearbeitet und lange galt der Konsens: So ist er halt. Also habe auch ich ihn jahrelang in Schutz genommen, sein Verhalten entschuldigt und meine Grenzen Stück für Stück verschoben, bis sie irgendwann komplett verschwunden waren.
Eines Tages ist es eskaliert: Er hatte einen Wutausbruch, nachdem ich mich seinem „Befehl“ widersetzt habe und hat mir daraufhin mündlich gekündigt. Im Beisein eines Dritten habe ich mich noch zu einem Gespräch bereit erklärt, weil mir bewusst war, dass es ihm gar nicht aktiv darum ging, mir zu kündigen, sondern dass das seine Strafe und Machtdemonstration für meine „Insubordination“ war. Nicht nur hat er sich während dieses Gesprächs komplett im Recht gesehen (er habe mir ja mal Grenzen aufzeigen müssen), sich selbst widersprochen und Lügen über mich und mein Verhalten erzählt, sondern auch gedroht mich zu verklagen, sollte ich den Vorwurf „Machtmissbrauch“ nach außen tragen.
Damit war für mich klar: Ich sehe keine Möglichkeit der Zusammenarbeit mehr – und der Weg durch die Abteilungen der Uni begann. Nachdem ich beim Dekanat, Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsbeauftragten, Ombudspersonen, Fachschaft und dem AStA war, habe ich schließlich auch offiziell eine Beschwerde eingereicht. Denn das Erzählen der Vorfälle und seelsorgliche Begleitung haben mir gezeigt, wie systemisch und strukturell missbräuchlich sein Verhalten war – und dass es ihm nicht um mich als Person ging.
Die Liste der Vorfälle ist lang: Es gab unangemessene Kommentare über Charakter, Aussehen, Sexualität, Leistung, abfällige Äußerungen über Kolleg:innen und Studierende und ein ständiges Kommentieren meines Körpers und meines Aussehens, oft getarnt als vermeintliches Kompliment. Es gab unangemessene Berührungen, ein ständiges Zu-Nah-Sein, zu offensichtliche Blicke. Und das Thema Loyalität, das über allem stand: Bedingungslose Loyalität zu ihm, die mit seinem Vertrauen und Wertschätzung belohnt wurde. Und ganz nebenbei vermittelt: Ich lege dir die Welt zu Füßen, aber ohne mich bist du nichts.
Durch diese jahrelange, enge Zusammenarbeit und sein bewusstes Anbinden von Personen an sich, war es für mich ein unglaublich emotionaler, schwieriger und einsamer Prozess. Mehr als einmal habe ich mich gefragt, ob ich ihm das antun kann. Mehr als einmal habe ich überlegt, alles abzubrechen, mich zu entschuldigen und zu ihm zurückzukehren; und ich musste mir immer wieder vor Augen halten, dass ich weder zurück will noch kann.
Das Traurige ist: Alle haben es erlebt und jede:r kann eine Geschichte erzählen, Studierende, Dozierende und Mitarbeitende. Alle kennen seine Sprüche und Kommentare, alle Studierenden seine Wutausbrüche, und doch konnte er selbst noch in seiner Abschiedsvorlesung sagen, dass in zwanzig Jahren nichts sein Social Standing erschüttert hätte.
Die Beschwerde war erfolglos – meine Vermutung: Es war nicht strafrechtlich relevant (also quasi nicht schlimm genug) und es ist leichter, die Pensionierung abzuwarten. Es gab keine Konsequenz für ihn, keinerlei Einschränkung. Dafür habe ich viel Unterstützung vom Institut, der Ombudsstelle und der Seelsorge bekommen. Ich habe über ein Jahr Energie in dieses Verfahren investiert und tue es immer noch. Für mich und meinen Fall ist es zu spät, aber ich habe die Hoffnung, dass ich dabei helfen kann, dass es anderen besser ergeht.
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